Fehleinschätzung und Selbstüberschätzung – die Zweite…

Grundsätzlich sollte man ja annehmen, dass man aus Fehlern lernt.

Insbesondere die intelligenteren Menschen tun das zumeist und an sich muss ich gestehen, dass ich mich zu diesen zähle (ich weiß, das klingt blöd, überheblich, … – ist aber ehrlich).

Bei dem Thema, was jetzt kommt, ist es allerdings anders gelaufen. Ich behaupte, dass dies zumindest zu einigen Teilen auf meinen Aspie-Teil zurückzuführen ist.

Es geht wieder einmal darum, dass ich wiederholt nicht in der Lage war, meine Grenzen und Fähigkeiten korrekt abzuschätzen. Ich hatte ja in einem früheren Blogbeitrag schon einmal geschrieben, dass meine Ärztin mich lieber noch länger nicht arbeitend gesehen hätte, nachdem Therapien und Reha durch waren. Und hier ich hatte auch berichtet, dass es Ende 2017 nicht gut lief und ich meine Stunden auf 20 pro Woche reduzieren musste.

Man sollte meinen, dass ein Mensch daraufhin lernt, etwas besser auf sich zu achten. Dies ist mir nicht gelungen. Ich arbeitete im letzten Jahr bis zum Herbst in einem Kundenprojekt, in dem sich zusehends mehr Chaos aufgrund einer Vergrößerung und Überschneidung von Kompetenzen breitmachte. Meine Aufgaben allerdings wurden weniger und das, was ich erarbeiten konnte, wurde nicht beachtet. Das merkt man, wenn plötzlich dieselben Fragestellungen, wie bereits zwei Jahre zuvor auftauchen, man auf sein Konzept zu dem Thema verweist und feststellt, dass es quasi zwei Jahre lang in der elektronischen Schublade lag.

Ich suchte mir also ein neues Projekt mit klareren Strukturen und bei dem ich wusste, dass meine Arbeit ernst genommen wird. Ernst genommen zu werden ist mir übrigens sehr wichtig und mein Eindruck ist, dass es generell für Aspies wichtig ist. Erst dann kann das Thema abgehakt werden und man ist wieder offen für neues. Aber vielleicht ist das nun etwas zu ausufernd und ich schreibe darüber noch einmal gesondert.

Mein neues Kundenprojekt hatte immer nur kurze Vertragslaufzeiten, sodass die Arbeitspakete immer nur für 2-3 Monate ausgelegt waren. Zwar gab es immer wieder Verlängerungen, aber die Aufgaben wurden jeweils auf die Beauftragung ausgelegt und auch zum jeweiligen Ende abgenommen. Ich hatte also einerseits, wie von mir gewünscht, wieder etwas Sinnvolles zu tun, was mir Spaß machte. Andererseits aber auch einen gewissen Zeitdruck.

Bereits während der Einarbeitung stellte ich fest, dass meine Auffassungsgabe, die immer top war und das, womit ich alle überzeugen konnte, noch immer irgendwo im Chemodunst oder Antihormonnebel zu stecken schien. Ich schob dies aber immer auf die Tagesform, Ablenkungen vom Handy, Radio, vorbeifliegenden Vögeln oder auf schlechten Schlaf. Also einfach weiter wurschteln. Da ich mit meiner Beauftragung alleine war, musste ich auch Ideen selbst haben, Lösungen alleine finden und konnte auch das Vorgehen nicht so richtig mit jemandem diskutieren. Der Kunde selbst hat super viel zu tun und ist daher auch nicht immer greifbar. An sich habe ich früher immer so gearbeitet. Der Unterschied war allerdings, dass ich mich besser konzentrieren konnte, der Kunde nur ein paar Büros weiter saß und ich mit Vollzeitarbeit genug alternative Tätigkeiten hatte, wenn bei Konzepten gerade mal die zündende Idee fehlte. Es gab immer noch „Kleinkram“ zu tun. Nun, mit den 4 Stunden täglich, war das anders. Das erhöhte den Druck. Ende November begannen Verdauungsprobleme. Nachträglich würde ich sagen, dass die Überforderung da sicherlich einen großen Anteil dran hatte.

Obwohl ich die erste Beauftragung zur Zufriedenheit des Kunden ableistete, war ich selbst eigentlich nicht so zufrieden. Ich habe meine Ansprüche und weiß, was ich früher alles gemacht habe. Anfang 2019 verletzte sich mein Mann beim Sport und ich musste auch den Haushalt übernehmen. Da habe ich erstmal gemerkt, wie wenig ich überhaupt gemacht habe in den letzten Monaten. Außer den 4 Stunden Arbeit täglich und 2 Stunden Therapie wöchentlich plus im Schnitt eine weitere Stunde für Arzttermine habe ich im Haushalt kaum noch etwas geschafft. Ein Jahr zuvor klappte zumindest das mit der Wäsche (sortieren, Maschine anstellen, aufhängen, abnehmen, legen, wegräumen) und das Kochen. Das wurde alles weniger. Okay, kochen ist ohnehin schwierig wegen des Lympharms, sodass mein Mann helfen musste, aber außerhalb der kritischen Dinge machte ich dies.

Gut eine Woche nach der Verletzung meines Mannes war ich völlig am Ende. Meine Ärztin schrieb mich krank. Etwa zwei Wochen später fing ich wieder an. Mein Mann konnte sich zwar eigentlich immer noch nicht richtig bewegen, aber versuchte soviel wie möglich selbst zu machen. Im Haushalt halfen meine Eltern eine ganze Weile jede Woche aus. Ist halt blöd, wenn man zu zweit ist und einer einarmig und der andere einbeinig…

Meine Arbeit zerfraß mich immer mehr. Mir fehlten Ideen zur Vorgehensweise, die Technik streikte, fraß dadurch wertvolle Zeit und meine Konzentrations- und Aufmerksamkeitsspanne glich zunehmend der einer Tomate… Ich brauchte immer länger, um meine vier Stunden tägliche Arbeit zu erledigen. Schließlich reichen nicht vier Stunden am Rechner sitzen, sondern es muss etwas bei rum kommen. Teilweise mussten Wochenenden herhalten, um das Ganze zeitlich zu kompensieren.

Den Haushalt schmiss mein Mann inzwischen komplett alleine, inklusive kochen und Wäsche. Ich ging auch nicht mehr raus, um keinen wachen Moment meines Gehirns zu verpassen. Außerdem war ich nach Spaziergängen körperlich erschöpft und musste schlafen und wer schläft, kann nicht arbeiten.

Mitte März habe ich dann einen Pflegegrad beantragt, da es hier immer öfter krachte, weil mein Mann mit Gesundwerden und Haushalt und mir auch langsam überfordert war. Das habe ich allerdings im März noch nicht gemerkt. Gute vier Wochen später ging alles durch – nur hat man davon rein praktisch ja noch nichts.

Ich versuchte weiter, vernünftig zu arbeiten und ein paar vereinzelte gute Tage ließen mich glauben, dass das alles nur Tagesform abhängig oder zumindest nur eine Phase ist. Es häuften sich aber Kommentare meines Mannes und auch von anderen: „wenn es nicht geht, dann musst du eben aufhören mit arbeiten“. Naja – passte aber nicht in meinen Plan im Kopf. Und ich hatte auch kein Bild dazu parat, wie mein Leben dann aussehen soll. Und Aufgeben war noch nie so mein Ding.

Mitte April begleitete mich mein Mann dann zu meiner Ärztin und schilderte ihr, wie so ein Tag bei und mit mir aussieht. Zwei Tage zuvor hatte ich übrigens mit 12 Stunden am Rechner für 2 Stunden Arbeit den Vogel abgeschossen. Mein Gleitzeitkonto war auch schon 2 Tage im Minus. Meine Ärztin war erschüttert.

Konzentrationsprobleme und das mit der Auffassung und dem Gedächtnis sind vermutlich einerseits aufgrund der Antihormontherapie, aber auch noch als Chemo Nachwirkung ein Thema. Zudem meinte sie, hätte ich meine Anpassungsstörung noch nicht überwunden. Damit war ich von Herbst 2017 bis Februar 2018 bei einem Psychoonkologen. Länger habe ich es nicht ausgehalten… Darüber habe ich noch gar nicht berichtet, fällt mir auf. Aber das werde ich nachholen!

Fakt ist, dass meine Ärztin mich sofort krankgeschrieben hat. Sie meint, ich solle mindestens ein Jahr nicht arbeiten, weshalb mein Arbeitsvertrag heute auch endet.

So nach und nach – nach nun zweieinhalb Wochen Zuhause – verstehe ich rückblickend, was da vor sich ging. Währenddessen habe ich es überhaupt gar nicht mitbekommen.

Heißt: Ich habe mich zum nunmehr dritten Mal sowas von überschätzt, dass es eigentlich kaum zu glauben ist.

Heißt auch: Ich muss da noch einiges lernen… Hab ja jetzt Zeit.

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