Schicksal, Dankbarkeit und Demut

In den vergangenen fast 3 Jahren habe ich wirklich oft meine „Krebsgeschichte“ erzählen müssen/dürfen. Ganz oft stieß ich auf große Augen und den Kommentar, wie toll ich doch damit umgehen würde.

Ich muss aber zugeben, dass ich das oft nicht verstanden habe, weil mir eine andere Art des Umgangs damit gar nicht einfallen würde. Natürlich weiß ich, dass viele sich vom Schicksal, Gott, einer sonstigen höheren Macht oder dem Universum verarscht oder verlassen fühlen, wenn ihnen etwa Schlimmes widerfährt. Insbesondere dann, wenn es zu einer Häufung kommt.

Meine Ansicht ist, dass es einfach so ist, wie es ist – ohne großartigen Hintergrund. Wenn es nicht mich, sondern jemand anderen getroffen hätte, wäre es für den anderen eben „unfair“ oder schlecht. Und „verdient“ hat es sowieso niemand. Für den Fortbestand der Menschheit, das Gleichgewicht im Universum oder ähnliches ist ohnehin egal, wen es trifft. Gerade, wenn man sich die Erdgeschichte anschaut und vor Augen hält, wie unfassbar alt das Gestein ist, auf dem wir herumlaufen und dass es immer noch da ist, im Gegensatz zu Milliarden von Menschen und Tieren, oder dass unsere Sonne irgendwann tatsächlich verglüht sein wird – lange, nachdem es Menschen gab, ist das, was jeder einzelne von uns für das gesamte Gefüge der Erde bedeutet, weniger als ein Wimpernschlag. Die gesamte Menschheit wird vergessen sein, lange bevor es ihre Edelstahlspülen sein werden 😀

Ob und wie ich also gelebt habe, ist zunächst einmal für das Drumherum völlig unbedeutend. Das sieht man beispielsweise am Umgang mit den Flüchtlingen im Mittelmeer – da hat man auch den Eindruck, dass es kaum jemanden interessiert, ob nun ein paar mehr oder weniger ertrinken, solange wir es hier nur weiter bequem haben. Wir bekommen es ja nicht einmal mehr mit.

Und damit sind wir an einem weiteren entscheidenden Punkt, was den Umgang mit der Erkrankung angeht: das Wissen, ein sehr privilegiertes Leben zu haben. Ich muss nicht vor Krieg oder aussichtsloser Armut flüchten, muss keine Angst haben, jederzeit verschleppt oder überfallen zu werden, kann beruflich (theoretisch zumindest) machen, was ich möchte, kann mich kleiden, wie möchte, lieben und heiraten, essen und überhaupt leben, wie ich möchte. Das einzige, was mich jetzt ein wenig limitiert, ist die Erkrankungsgeschichte bzw ihre Folgen. Aber auch hier: jemand, der mit 38 Jahren irgendwo im Jemen oder in Somalia oder in vielen anderen Ländern dieser Erde einen Knubbel in der Brust hat, der ist vermutlich mit 39 oder spätestens 40 tot. Wenn überhaupt die Aufklärung soweit ist, dass dabei etwas Schlimmes vermutet würde, gäbe es kaum Ärzte oder man könnte sich weder Arzt noch Behandlung leisten. Mal abgesehen davon ist man mit 40 Jahren dort schon mitten im letzten Lebensdrittel. Ich kann mich also glücklich schätzen und bin sehr dankbar dafür, dass ich in einer Zeit und an einem Ort lebe, der mir ein freies Leben und eine sehr gute bis optimale Behandlung von Krankheiten ermöglicht.

Alles zusammen sieht man aber nur, wenn man sich seiner persönlichen Stellung im gesamten Universum, in der Erdgeschichte, für 99% der Mitmenschen (im Sinne von zeitgleich mit mir lebenden Menschen) auf der einen Seite bewusst ist und auf der anderen Seite sieht, wie reich wir alle hier sind alleine schon mit einem Dach über dem Kopf, was Warmen zum anziehen, und ausreichend zu essen und wie viele Menschen das alles nicht haben.

Dies alles in Betracht ziehend denke ich, dass die Konsequenz ist, sich selbst nicht allzu wichtig zu nehmen und das wiederum führt zu eben jener „gelassenen“ Einstellung einer Krebserkrankung gegenüber – garniert mit zuweilen einer kleinen Portion Selbstironie.

Möglicherweise irre ich mich aber auch und es ist eine Frage des Typs oder der Erziehung. Was meint ihr?

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