Zeitgefühl und Tagesrhythmus

Wie ihr vielleicht gemerkt habt, habe ich den letzten Wochenrückblick vergessen.

Sehr viel los war auch nicht – an Terminen gab es so die üblichen Verdächtigen (z.B. Lymphdrainage) und einen Routine-Zahnarzttermin.

Das bringt mich aber zum Thema „Zeitgefühl“ bei Autisten, und im Speziellen: bei mir 😉

Es mag einem neurotypischen Menschen nicht so bewusst sein, aber das ist tatsächlich ein großes Thema für Autisten und häufig problembehaftet. Mir selbst war es zunächst lange Zeit nicht bewusst – zumal nicht jeder von Natur aus unpünktliche Mensch gleich Autist ist.

Bewusst geworden ist es mir durch meinen Stiefsohn. Wie oft hatten wir hier richtig Stress und Ärger, weil er auch mit zig Mal erinnern die Zeit verdaddelt. Ich muss dazu sagen, dass hier zwei Probleme aufeinander treffen: das völlig fehlende Gefühl für vergehende Zeit zum Einen und die kategorische Ablehnung von Hilfsmitteln, um ein Problem in den Griff zu bekommen (in diesem Fall: Wecker, Eieruhren, Ablaufplänen etc.).

Den Teil mit dem Gefühl für die Zeit kann ich jedoch gut nachvollziehen. Wenn man irgendwo sitzt und liest oder daddelt verpufft die Zeit geradezu und schwupps, sind ein, zwei oder gar mehr Stunden verschwunden. Ich denke, das kennt wohl jeder. Das Schwierige ist für mich allerdings, die Zeit, die eine zu erledigende Tätigkeit benötigt, einzuschätzen – Zeit im Kontext eines Ablaufs sozusagen.

Üblicherweise rechnet man ja rückwärts, d.h. wenn etwas / man selbst zu einer bestimmten Uhrzeit fertig sein muss, überlegt man sich die Schritte dorthin und wie lange sie dauern. Daraus ergibt sich, wann begonnen werden muss. Nun ist es bei mir so, dass ich die Dauer eines Arbeitsschritts so gut wie immer zu kurz einschätze und oftmals deutlich länger brauche, obwohl ich nicht trödele. Das ist mein großes Problem.

Meinem Stiefsohn geht es übrigens ähnlich, nur dass er immer viel zu viel Zeit dafür einkalkuliert und deshalb oft gar nicht erst anfängt. Wenn man z.B. sagt „geh hoch, aufs Klo, Zähneputzen und anziehen, in 45 Minuten müssen wir los“ kommt Geschrei und Gezeter, dass das ja absolut nicht zu schaffen sei. Zumindest bis vor einigen Monaten noch. Derzeit vernehme ich hier eine leicht positive Entwicklung.

Man könnte annehmen, dass ich in meinem Alter ja nun endlich mal den Bogen raus haben müsste, was so übliche Dauern angeht. Da kann ich nur sagen „ja und nein“. Ich rechne immer einige Minuten (je nachdem was ich selbst mir an Zeitspanne vorstelle) Zeit drauf, weil ich ja weiß, dass da sonst was fehlen wird. Ich liege trotzdem oft daneben, weil ich zum Beispiel sowas wie „Schuhe anziehen, Dinge ins Auto tragen, abschließen und Kater füttern (der immer was zu futtern will, wenn wir das Haus verlassen)“ einfach vergesse. Und dann ist der tollste Zeitplan für die Katz.

Grundsätzlich ist es aber gut, dass man sein Defizit kennt. Nur so kann man Lösungen und Hilfen finden, damit es weniger Probleme gibt.

Allgemein ist das aber wie gesagt mit Zeit im Ablauf so eine Sache. Viele Autisten haben einen Tagesrhythmus, der vom üblichen 24h-Tag abweicht. Auch Tag-Nacht-Rhythmen sind oft gestört und so ist es auch nicht verwunderlich, dass die meisten Autisten offenbar auch Melatonin verschrieben bekommen, damit das mit den Schlafen besser klappt. Wobei ich hier auch noch andere Ursachen vermute…

Alles in allem ist es mal wieder ein unscheinbarer Baustein, der oft verkannt wird, aber viel Ärger und Probleme mit sich bringen kann.

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2 Gedanken zu “Zeitgefühl und Tagesrhythmus

  1. Ich wiederum neige dazu, die Dauer zu überschätzen. Dadurch entstehen dann gefühlt ewig lange Wartezeiten. Bei regelmäßig zu erledigenden Dingen habe ich inzwischen eine Statistik, wie lang ich a) meistens brauche b) es im bislang schlimmsten Fall war und c) was zusätzlich Zeit kosten kann d) oder Stress verursacht, weil ich vom Part eines anderen abhängig bin und der nicht unbedingt zuverlässig rechtzeitig da. (also alles ohne ihn mögliche vorher erledigt haben).

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