Vor kurzem wurde mir von einer Krebspatientin berichtet, die nach – ich weiß nicht mehr genau – 10? Jahren nun ein Brustkrebs-Rezidiv und dazu zahlreiche Metastasen bekommen hat.
Man liest auch öfter mal in Blogs oder sonstigen Berichten von ähnlichen Abläufen. Und natürlich weiß ich, dass das Gemeine bei Brustkrebs ist, dass er auch nach 20 Jahren oder mehr noch wieder kommen kann – wohingegen die Wahrscheinlichkeit bei anderen Krebsarten sehr gering ist, wenn man erstmal 2-5 Jahre Ruhe hatte.
Trotzdem lohnt es sich, bei derartigen Fällen genauer hinzusehen. Mir ist dabei aufgefallen, dass eigentlich immer eine gewisse Nachlässigkeit eingetreten war. Da wurde irgendwann nicht mehr zur Vor- und Nachsorge gegangen, die Tabletten zur Antihormontherapie weggelassen oder gearbeitet wie ein Berserker. Insbesondere das Absetzen der Antihormontherapie fiel mir immer wieder auf.
Natürlich gab es dafür Gründe. Die verschiedenen Präparate machen verschiedene, teils wirklich üble Nebenwirkungen. Osteoporose, Knochenschmerzen, Muskelschmerzen, Gelenkschmerzen, Thrombosen, usw usf. Das ist alles kein Kindergeburtstag und die Tabletten sind keine Bollos… Trotzdem verhindern die weitestgehend, dass im Körper noch vorhandene Krebszellen wieder aufwachen und wachsen. Je jünger man ist, desto wichtiger ist daher das Durchziehen der Antihormontherapie, da eben noch mehr Hormone da sind. Allerdings geht es nicht nur um die im Körper befindlichen Hormone, sondern auch um die, die wir über die Nahrung und Kosmetika in unseren Körper hinein bekommen. Und ich denke, das ist vielen „älteren Semestern“ nicht so bewusst. Da denkt man vielleicht „ach, Hormone – da bin ich in meinem Alter mit durch“ und aufgrund der unangenehmen Begleiterscheinungen nimmt man dann nichts mehr ein.
Insgesamt glaube ich aber, dass mit zunehmender Zeit einfach der Wunsch da ist (hier wohl insbesondere bei jüngeren Patientinnen), wieder ein normales Leben zu haben. Eins, was man evtl ohne den Krebs auch führen würde. Man wünscht sich Normalität. Und dieser – vielleicht auch nur unterbewusste – Wunsch führt dazu, dass man das Risiko verdrängt. Wenigstens ist es meine Hoffnung, dass nur das Verdrängen der Risiken zum Abbruch der Antihormontherapie, zum Fernbleiben von Nachsorgeterminen und zum ungesunden Lebenswandel führt und nicht schlichte Ignoranz oder Leichtsinn. Ich möchte mir auch gar nicht vorstellen, dass es Menschen gibt, die so leichtsinnig und ignorant sind, dass sie bewusst sagen „ich lass das sein, ich möchte mich damit nicht mehr beschäftigen, wird schon gut gehen“. Andererseits sehe ich auch Leute, die rauchen, teilweise obwohl sie schwer krank sind und befürchte, dass man sehr wohl so ignorant sich selbst gegenüber sein kann.
Bleibt die Frage, was zuerst da ist. Leichtsinn? Ignoranz? Verdrängung? Und: Was ist Ursache, was ist Wirkung? Wo hört überhaupt Verdrängung auf und wo fängt Leichtsinn an? Ist Ignoranz die Endstufe des Leichtsinns?
Vielleicht ist es ja auch gut, von Zeit zu Zeit zumindest die Krankheit bzw ihre Folgen beiseite zu schieben und irgendetwas bewusst „trotzdem“ zu machen. Einfach, um sich lebendig zu fühlen und das in sofern krankheitsfreie Leben zu genießen? Ich denke, das ist wirklich gut. Aber wiegen ein paar unbeschwertere oder einfach nur weniger komplizierte Tage/Wochen/Monate es auf, dass man dafür einen Rückfall riskiert? Was steht dann am Ende unterm Strich? War es das wert?
Für mich als Kopfmenschen (oder als Autisten?) ist das nichts. Ich kann so etwas potentiell Lebensbedrohliches nicht so weit verdrängen. Und ich habe auch viel zu viel Angst davor, mir selbst eines Tages das berühmte „hättest du doch“ vorwerfen zu müssen. Damit könnte ich nicht gut umgehen, das weiß ich. Es würde im Hier und Jetzt bei allem irgendwo mitschwingen und schon jetzt die Frage, ob es das wert ist, aufwerfen. Mir bleibt also nur, die gebotenen Mittel und Maßnahmen auf Gedeih und Verderb zu nehmen bzw. durchzuziehen.
Ich habe weder abschließende Antworten auf die oben aufgeworfenen Fragen, noch weiß ich, welcher Weg besser ist. Das muss wohl jeder für sich entscheiden und den Weg des geringeren Bedauerns finden.
Die wahre Kunst ist für mich allerdings eher, trotz der Therapien das Leben zu genießen, und nicht trotz des Krebses und damit dann auch zu versuchen, viel Zeit rauszuschlagen, die man genießen kann.