Über die haarlose Zeit

Das erste, woran wohl die meisten denken, wenn sie „Krebs“ hören sind kahlköpfige, sterbende Menschen.

Wenigstens war das früher immer meine erste Assoziation.

Interessanterweise war dies erstmals nicht so, als es um mich selbst ging. Allerdings hieß es ja am Anfang auch, dass es „nur“ OP und Antihormontherapie gibt. Als dann erstmals was von „Chemo“ zur Sprache kam, war das mit der Glatze tatsächlich auch eines der ersten Bilder in meinem Kopf.

Nun bin ich ja nicht so das „klassische Mädchen“. Auf Äußerlichkeiten gebe ich nicht sehr viel. Klar, ich habe meine Vorstellungen, auch meinen eigenen Stil mittlerweile und es gibt auch für mich „No-Gos“ und „Must-haves“. Ich fand die Idee einer Glatze nicht wirklich toll, konnte mir aber nicht vorstellen, wie ich ohne Haare aussehen würde. Im Gegensatz zu vielen anderen fand ich das Ganze aber auch nicht so schlimm, dass es jemals vordergründig gewesen wäre. Auch dass ich in irgendeiner Form wegen ausfallender Haare heulen würde, ist mir nie in den Sinn gekommen. Es ist der Preis, den man dafür zahlen muss, den ungeliebten Untermieter loszuwerden. Angesichts der Alternative aus meiner Sicht ein fairer Deal. Sterben vs vorübergehend glatzköpfig ist wohl auch für die allermeisten Menschen keine schwierige Wahl. Und ich muss gestehen, dass mir persönlich auch immer noch das Verständnis für Zeter und Mordio wegen fehlender Haare fehlt. Es hat immer irgendetwas von einem fehlenden oder schrägen Maß, einem merkwürdig anmutenden Bedeutungsverhältnis.

Ich möchte damit nicht sagen, dass ich diese Patienten oberflächlich finde. Aber vielleicht fehlt die nötige Reflektion zu dem Zeitpunkt, wo dieses Thema als „Drama“ betrachtet wird. Alles wird Gründe haben.

Zwischen der OP und dem Beginn der Chemo lagen 4 Wochen. Bis zum Haarausfall waren es 6 Wochen. Es war für mich genug Zeit, sich an den Gedanken zu gewöhnen und auch eine gewisse Neugier zu entwickeln, wie mir eine Glatze stehen würde. Eine Verordnung für eine Perücke gab es gleich bei der Chemo Vorbesprechung mit. Aufgrund meiner hohen Empfindlichkeit (Aspie lässt grüßen) konnte ich mir allerdings nicht vorstellen, eine zu tragen. Auch von vielen Betroffenen habe ich immer wieder gehört und gelesen, dass sie den „Fiffi“ nur eine halbe handvoll Male getragen haben. Also ersparte ich mir das ganze Geraffel.

Kurz vor unserer Hochzeit wurde ich allerdings noch einmal schwach und bestellte mir doch noch ein paar Modelle. Allerdings war da nichts annähernd an mir gut Aussehendes dabei… Aber die Anproben sorgten für ordentlich Erheiterung 😁

Genau 14 Tage nach der ersten Chemo – die Anzahl Tage, die mir „prophezeit“ wurde – fielen sie also aus, meine Haare. In den paar Tagen zuvor war bereits zu erkennen, dass sie sehr stumpf aussahen und sich auch ein bisschen so anfühlten.

Am Morgen von Tag 14 berichtete ich meiner einen Freundin und meiner Mutter noch über Messenger, dass die Haare noch „bombenfest“ sitzen. Ich zuppelte nämlich ab ca. Tag 10 daran herum, um den Zeitpunkt nicht zu verpassen. Einige Stunden später musste ich meine Aussage dann revidieren. Die Haare um mich herum wurden mehr und beim Zuppeln hatte ich nun auch „Erfolg“.

Im Vorfeld hatten wir bereits besprochen, dass wir die Haare abrasieren, wenn der Ausfall beginnt. Die ganzen Haare überall – diese Aussicht erinnerte uns eher an ein Haustier. Nun zögerte ich und meinte, wir könnten ja zumindest noch bis zum Abend warten. Oder über Nacht. So wirklich auf Gegenliebe stieß das nicht. Nach einer Weile allerdings erkannte ich auch, dass dies genau die Sauerei würde, die wir vermeiden wollten. Auch änderte das alles nichts am unvermeidbaren Ausgang der Geschichte. Die Haare wären schlussendlich weg, ob nun einen Tag früher oder später. Also: auf ins Bad. Dort kniete ich mich über die Dusche, wo ein Handtuch ausgelegt darauf wartete, meine verbliebene Haarpracht in Empfang zu nehmen. In weiser Voraussicht hatte ich bereits gute 3 Wochen zuvor aus meinen langen Haaren eine Kurzhaarfrisur zaubern lassen. Die Haarmasse war also jetzt nicht mehr so riesig. Trotzdem schockte mich der Anblick des Haarhaufens dann mehr, als ich dachte. Es machte deutlich, wie real alles war. Kein schlechter Film. Und es wurde klar, wie wenig man gerade selbst tun konnte. Ein wenig war es, wie mit einer Achterbahn erstmals oben angekommen zu sein: man kann nicht zurück, findet es plötzlich doch nicht mehr sooo toll und sieht, dass es gleich abwärts geht. Und doch weiß man, dass am Ende alles gut wird. Also: Augen zu und durch.

Die „Entsorgung“ der Haare wurde mir aufgetragen. Das Rasieren hatte mein „noch Freund“ übernommen. In die Mülltonne tragen sollte ich es selbst. Das habe ich allerdings noch etwas aufgeschoben – ich meine, bis zum nächsten Tag.

Nach getaner „Arbeit“ gab es noch das Beweisfoto. Ich selbst allerdings habe noch eine ganze Weile, schlussendlich mehrere Wochen, mich nicht ohne Kopfbedeckung im Spiegel betrachtet. Andere durften mich wenn sie wollten, so sehen – ich nicht. Warum weiß ich bis heute nicht genau. Vielleicht hatte ich Angst, dass mich dann der Mut verlässt, wenn mich ein gebrechliches, krank aussehendes Spiegelbild anschaut? Sei es drum.

Zum Glück habe ich ein Mützengesicht. Und ich habe jetzt wohl auch genug Mützen für den Rest des Lebens. Einige dünne Mützen – meist Beanies – in Shirtstoff für drinnen und anfangs noch draußen, Cappies (nicht gut, die kratzen) und später noch kuschelig gefütterte Mützen für draußen. Es ist wirklich krass, wie sehr Haare wärmen! Ab November schlief ich sogar mit einem dieser Schlauchtücher auf dem Kopf. Ohne war es zu eisig.

Das wäre ein gutes Ende des Artikels, aber ich möchte noch einmal auf die restlichen Haare, die Körperbehaarung eingehen. Das ist etwas, was manchmal als Frage kommt und worüber sich gesunde Menschen, wie ich früher ebenso, gar keine Gedanken machen.

Es fallen alle Haare aus. Meine Augenbrauen waren nie ganz weg, aber recht dezimiert. Allerdings erst, als der Rest schon wieder wuchs.

Sonst war alles weg: Wimpern, Intimbereich, Arme, Beine – alles komplett glatt. Das war zunächst ein ungewohntes Körpergefühl, aber zugegebenermaßen mochte ich es. Vom Gefühl her – nicht wegen des fehlenden Aufwands. Denn für gewöhnlich beseitige ich viele Haare gezielt.

Ich sparte also Zeit beim Duschen selbst und das abtrocknen ging auch super schnell, so ohne Haare.

Das Wachsen der Haare begann dann kurz nach dem Wechsel auf den zweiten Chemoteil, also Ende November/Anfang Dezember. Die aufkeimende Körperbehaarung habe ich übrigens gar nicht so bemerkt, aber die Kopfhaare wurden immer mehr bewundert. Ich brauchte auch recht zügig keine Mütze mehr drinnen oder über Nacht. Haare wärmen richtig gut!

Zwischen Weihnachten und Neujahr waren wir ein paar Tage in Wittenberg. Dort fand ich es dann drinnen viel zu warm für die Mützen, auch für die dünnen, und so lief ich ohne herum – in Museen, Restaurants und beim Frühstück. Die Haare waren allerdings so kurz, dass ich wesentlich mehr komisch angeschaut wurde, als vorher mit Glatze und Mütze. Aber fernab von Zuhause war mir das dann auch egal. Es läutete das absehbare Ende der Chemozeit ein.

Bleibt zu erwähnen, dass ich bis heute noch kein bisschen hab Haare schneiden lassen. Meine Haare sind ganz neu, laufen daher spitz zu und splissen nicht.

Die berühmten Chemolocken hatte ich auch, d.h. erstmals in meinem Leben habe ich Locken bekommen. Inzwischen – vermutlich aufgrund der Haarlänge – habe ich die Locken nur noch am Ende der Haare. Ich möchte es nicht missen. Auch die Haarstruktur hat sich verbessert.

Insgesamt war es eine interessante Erfahrung. Eine, die man freiwillig eher nicht gemacht hätte, aber schlussendlich eine gute Erfahrung.

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